Alles für die Community
Lange haben wir drauf gewartet, uns gegenseitig verrückt gemacht, uns das Hirn zermartert und jetzt ist es endlich soweit! Wir dürfen arbeiten! Dass ich mich darauf mal freuen würde, hätte ich nie für möglich gehalten, doch wie sagt man so schön: Nichts ist unmöglich!
So kam es, dass wir an einem diesigen Montagmorgen, um kurz nach zehn, von Bhanu, unserer Chefin, in ihr kleines Arbeitszimmer zu einem Meeting beordert wurden. Da wussten wir schon: „Jetzt kommt was Besonderes!“ So war die Spannung kaum noch auszuhalten, der Schweiß lief uns über die Stirn und unsere Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, in Vorfreude auf das, was da nun kommen würde. Dann eröffnete uns unsere Anführerin ihren geheimen Masterplan! Und….er gefiel mir irgendwie nicht so ganz..
Ich sollte bald die Aufgabe bekommen in eines der Bergdörfer zu fahren, um die Natur auszumessen. „Mapping“, so der korrekte Ausdruck im Fachjargon des Ureinwohner-Frauenrechtler-Freiwilligen.
Meine vorübergehende Tätigkeit sieht also wie folgt aus: Man nehme sich einen Berg und stecke ein Gebiet von ungefähr 20×20 Metern ab. Dies markierte Land nenne man von nun an einen Plot. In diesem Plot ist es nun die Aufgabe des Freiwilligen jegliche Arten von Flora und Fauna zu kategorisieren. So habe man beispielsweise eine Vielzahl an Mangobäumen vor sich, die man nach vorgegebener Art und Weiße zu zählen und zu benennen hat. Des Weiteren prüfe man deren Qualität und bestimme die Jahreszeit in der unsere Mangobaum-Spezies am liebsten zum Vorschein kommt und fertig ist das Mapping!
Und ich dachte schon meine glorreichen Biologie-Leistungskurszeiten wären vollends vorbei. Damals, die guten alten Zeiten, wo wir noch wochenlang an einer Ökosystemuntersuchung arbeiteten; hach, jetzt weiß ich endlich wofür! 😀
Der Sinn dieser Tätigkeit hilft jedoch der gesamten Bergdorfcommunity. Beweist man, dass der Berg lebt, mit all seinen Pflanzen und Tieren, so kann die Regierung den Berg nicht privatisieren, mit der Begründung dieser Hügel habe sowieso nichts Besonderes vorzuweisen. Das Stück Land darf den Bergbewohnern also erhalten bleiben und dafür würde es sich lohnen, diese Arbeit zu tun.
Trotz alledem bin ich nach dem Gespräch mit Banu etwas angefressen. Das ist nicht das, was ich mir, als selbst „aberkannter“ Naturwissenschaftler“, vorgestellt habe, aber momentan habe ich sowieso nichts zu tun, also bleibt mir wohl nichts Anderes übrig.
Das Mapping darf ich übrigens mit zwei Adivasi-Boys aus dem kleinen niedlichen Örtchen Dallapalli machen. Zusammen mit echten Überlebenskünstlern, so glaubt man, doch als wir vor unserem Grundstück ein 9×9 Meter großes Gebiet Wasteland zur Übung abmessen wollen, scheitert es schon bei den beiden. Wir Deutschen messen zwei Seiten ab und können sofort die Markierungen für die anderen beiden Ecken setzen, haben wir doch klar einen symmetrischen Würfel vor unserem inneren Auge. Die Jungs jedoch, in der ganz klar höheren Position, da sie das anderthalb Meter lange Maßband haben, vertrauen nicht auf uns und messen gelassen Meter für Meter ab und sind nach fünf Minuten total erstaunt, als wir an der richtigen Stelle für neun Meter stehen. Wir haben wir das nur hinbekommen? Magie!
Auch, als wir das den Plot in vier kleinere, gleich große Boxen einteilen wollen, da die Anzahl und Qualität der Pflanzen von Ort zu Ort variiert, geben unsere beiden Mitstreiter zwar ihr Bestes und bemühen sich wirklich sehr, aber vier gleich große Plots können eher nicht so entstehen, wenn man auf einem 9×9 großen Feld einen 1×1 großen Würfel zeichnet.
Aber lustig sind die beiden auf alle Fälle, auch wenn sie selbst davon nicht viel mitbekommen. Verständigungsprobleme können so beispielsweise schnell in peinlicher Situationskomik enden, was unsere beiden Dallapalli-Freunde betrifft. Bei anderen, wie Bhanu, oder unseren Zweitchef Ravi, versteht man manchmal auch kaum ein Wort, da sie Wörter in sich hinein zu nuscheln scheinen, doch hier versucht man es am besten zu vertuschen, dass man sie nicht verstanden hat und bejaht mit voller Inbrunst die nicht verstandene Frage. Ein Nein würde sicherlich sowieso nicht gut ankommen.
Doch bei diesen beiden Jungs, die des Öfteren unverständliches Kauderwelsch plappern, liegt es insbesondere bei mir irritiert zu schauen, die Brauen hochzuziehen, den Kopf zur Seite zu neigen und „What?“ zu fragen. Meistens kommt dann ein Kauderwelsch-Singsang zweiten Grades, den man noch weniger versteht. Erst beim dritten, oder vierten Mal versteht man, was sie meinen und ist danach glücklich beseelt ihren Sprachcode entschlüsselt zu haben.
Ich scheine grundsätzlich der Einzige von uns dreien zu sein, der das indische Englisch nur ansatzweise gut versteht. Entweder gibt es die Menschen, mit denen ich auf Anhieb ein gutes Gespräch führen kann, oder es gibt die, die so undeutlich und leise sprechen und ich gezwungen bin ins Blaue hineinzuraten, was ich nun als Antwort preisgebe. Aber das beruht auch auf Gegenseitigkeit, wie ein Gespräch zwischen einen der beiden Spezialisten beweist.
Wir wollen zur Botschaft gehen, um uns registrieren zu lassen (dazu übrigens folgt noch ein Eintrag) und einer der Jungs verabschiedet uns am Tor.
„Where are you going?“
„ To the FRRO. For Registration.“
“ Ahh! Where is that?
“ We don´t know. We´re driving with Uber.”
“ Ah! Where are you going?”
“ We DON`T know! Anywhere in Hyderabad!”
“ But where?”
“ No idea! Hyderabad…To the FRRO.”
“ Where is the FFRO?”
“ In Hyderabad..”
“ Where?”
“We don´t know. Our navigation device will tell us that!
“Your navigation device?”
“Jap.”
“Where are you going?”
“Okay, we´re going know! Bye!”
“Bye? But where are you going?”
Ja, das werden ganz gewiss lustige Zeiten mit den Beiden werden, dem sind wir uns sicher. Desweilen können wir Freiwilligen es nicht lassen, die Jungs nachzuahmen. So haben sie beispielsweise die lustige Eigenschaft Wörter mehrfach zu wiederholen. Eines Tages sitzen die beiden vor dem uralten Steinzeit-PC im Erdgeschoss und sehen aus, als würden sie Hilfe gebrauchen. Ich geselle mich zu ihnen und frage, was denn los sei. Das Internet würde nicht funktionieren, so vermitteln sie mir. Ich, versuche das Problem zu lösen und währenddessen höre ich von beiden Seiten es leise „connect, connect, connect, conect“ flüstern. Das Internet bekomme ich leider auch nicht zum Laufen, aber immerhin haben wir Freiwilligen nun einen ganz geheimen Code, wollen wir über die Jungs sprechen: „Connect, connect, connect, conect!“
Es haut uns vollends aus den Socken, als wir erfahren, dass beide bereits verheiratet sind und einer schon ein vier Monate altes Kind namens Avantica hat. Für uns sind sie irgendwie auch noch Kinder.
Das alles soll übrigens nicht heißen, dass wir es verurteilen, was die Dallapalli-Boys alles veranstalten, nein, ganz im Gegenteil. Durch ihre Eigenarten haben wir sie echt ins Herz geschlossen und freuen uns, trotz komischer Aufgabe, mit ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.
Creators Comment from the future:
Durch fehlende sexuelle Aufklärung gerade auf den Dörfern, als auch bei den Unterschichts-Indern in der Stadt, sollten wir noch viele ältere (gerade männliche) Personen treffen, die so gut wie nichts über ihre eigene, als auch die die andere Sexualität, wussten. Kinder bekamen eben jene schon relativ früh, obwohl sie selbst noch wie Kinder erschienen. Was mich jedoch immer wieder faszinierte und begeisterte ( im Bezug auf die generelle Bildung, derjenigen, die sich hochrangige Schulen nicht leisten konnten) war die gar kindliche Neugier, mit der selbst 30 Jährige, Dinge erkundeten und hinterfragten.
Doch bevor es in die Bergdörfer geht, haben wir noch viel Zeit, die wir anderweitig nutzen sollen. So bekommt Merlin die Aufgabe die Dhaatri Website neu zu programmieren, stöhnt jedoch nach einiger Zeit über die Inhaltslosigkeit der Beiträge, die er online stellen soll. Von Bhanu bekommt er jeweils Texte und Bilder zugeschickt, doch genau wie bei den Texten, scheinen die Bilder ihn auch nicht zufriedenzustimmen. So sehen mache, die nicht total unscharf sind, aus, als hätte eine Kartoffel die Bilder gemacht, da die Qualität der Bilder echt zu wünschen übriglässt. Manche Inder scheinen diesbezüglich wohl eine variierende Vorstellung von Seriosität zu besitzen.
Derweil dürfen Skrollan und ich jeweils einen Report über den Bergbau in der Mongolei, oder Myanmar schreiben und verstehen nicht so wirklich weshalb wir das machen müssen. Dadurch, dass ich eine Aufgabe bekommen habe, die für mich so gar keinen Sinn macht, sinkt bei mir die Arbeitsmoral gegen Null. Unter anderem glaube ich daran, dass wir diese Aufgabe nur bekommen haben, um einfach irgendetwas zu tun und das missfällt mir von Stunde zu Stunde ein Stückchen mehr. Zwei Tage lang bleibt meine Einstellung so, bis ich mich damit abfinde etwas zu machen, was ich nicht verstehe. Das habe ich in der Schule bereits perfektioniert. Möglicherweise musste ich mich auch erst wieder damit abfinden zu arbeiten. Allenfalls habe ich das seit einigen Monaten nicht mehr getan, seitdem die Schule vorbei war. Jetzt muss mein rostiges Arbeitsgetriebe endlich mal wieder in Gang kommen und bald, ja bald rollt es wieder, wie in den alten, guten Zeiten.
Den Report über „Mining in Myanmar“ habe ich heute fertigbekommen und so langsam begreife ich das große Ganze der Aktion. Dhaatri setzt sich auch für Ureinwohner ein, die durch den Bergbau zu leiden haben, sei es durch schlechte Arbeitsbedingungen, oder Krankheiten. Da liegt es auf der Hand sich grundsätzlich über Missstände im asiatischen Bergbau zu informieren, um zu schauen, wie man am besten helfen kann, ganz zum Nutzen der Community.
Bei meinem Report habe keine Ahnung, ob der jetzt den Vorstellungen von Bhanu entspricht, da ich keinerlei Kriterien, oder Anforderungen gestellt bekommen habe. Skrollan hingegen, wurden gleich mehrere Links geschickt, mit bestimmt mehr als 50 Seiten Inhalt. Darf ich das jetzt als Ehre verstehen, dass man mir zutraut alles alleine zu schaffen, oder wurde mir gerade insgeheim gesagt, dass ich nicht das Zeug dazu habe, wichtige Infos aus einem Text herauszuschreiben? Momentan tendiere ich ja zum Szenario Nummero 2.
Nun ja, wenn das so ist: Dann werde ich nächster Zeit einfach mal zeigen, was möglicherweise alles in mir steckt, um beim nächsten Report nicht noch einmal unterschätzt zu werden. Darauf freue ich mich schon und bin gespannt auf unsere nächsten Arbeiten. Alles ganz zum Wohle der Community